von T. Austin-Sparks
Kapitel 8 - Der Wiederholte Aufruf
Sehr früh in diesem Brief an die Hebräer lanciert der Verfasser, nachdem er einen vielseitigen und sehr großen Vergleich und eine Gegenüberstellung zwischen den größten Personen des alten Heilszeitalters und Jesus, dem Sohn Gottes, angestellt hat, einen umfassenden Aufruf und eine Warnung in den höchsten Tönen. «Wie wollen wir entfliehen, wenn wir eine so große Errettung missachten?» (Hebr. 2,4). Durch den ganzen Brief hindurch wendet er dies in verschiedener Beziehung an, aber er tut das immer, indem die letzte Klausel das Ganze beherrscht:
Darum geht es also! Errettung. Eine GROßE ERRETTUNG. Eine SO GROßE Errettung. Da es nun aber keine zwei Errettungen geben kann, diese und eine andere, sondern diese wirklich das ist, was Gott mit der Errettung beabsichtigt hat, ist es unbedingt gut, dass wir uns noch einmal das ansehen, was auf diesen Seiten über die Größe von Christus, die Größe unserer Berufung, die Größe unserer beabsichtigten Bestimmung, und die Größe unserer Verantwortung gesagt wurde. Eines sollte aus dieser (erneuten) Betrachtung hervor gehen, nämlich, dass die Errettung eine viel größere Sache ist von der Seite des «WOZU» aus gesehen, als von der Seite des «WOVON» aus. Das heißt, in Gottes Vorsatz liegt viel mehr für den Menschen, als ihn nur von der Sünde, vom Gericht, vom Tod und von der Hölle zu erretten. Wie groß die Erlösung auch immer sein mag, sie diente nur dazu, den Menschen an den Platz zurück zu bringen, wo man in Übereinstimmung mit der vollen ursprünglichen Absicht Gottes hingelangen kann. Es ist ein sehr kostspieliger «Fall», der dem Menschen widerfahren ist, aber seine Wiederherstellung birgt viel mehr in sich als die Wiederherstellung selbst. Das Evangelium von der Errettung, wie es gewöhnlich gepredigt wird, befasst sich weitgehend mit dem Menschen selbst und mit den Vorteil und den Wohltaten des Gerettetseins. Ihm den Himmel zu versprechen und ihn auch dorthin zu bringen ist bereits das Limit. Mit der «so großen Errettung» aber sind immense Ergebnisse verbunden und sie schließt alle Superlative und Geheimnisse von Paulus‘ unvergleichlichen Enthüllungen des «ewigen Vorsatzes» in sich. Der größte Aspekt der Errettung ist der, wozu sie geschehen ist, wie groß auch immer das sein mag, wovon sie uns gerettet hat. Würde mehr von dieser Größe über die Prediger hereinbrechen, und würde sie ein mächtiges Motiv ihres Predigens sein, wie dies im Falle von Paulus und von andern war, dann würde ihr Einfluss auf die Menschen wenig von der Tapezierarbeit benötigen, die wir in unserem letzten Kapitel erwähnt haben.
Es ist gerade im Licht dieses positiveren Aspektes, dass unser Verfasser so wiederholt aufruft, drängt und warnt, und wir haben jetzt die Absicht, unsere Betrachtungen damit abzuschließen, indem wir auf diese Aufrufe kurz eingehen.
Während der Verfasser durch sein Thema zu bewegt war, um innezuhalten und sein Anliegen etwas systematischer anzugehen, mag es eine Hilfe sein, wenn wir in dieser Hinsicht etwas beitragen. Wir können deshalb mühelos diese Wiederholungen in drei Verbindungen bringen - A, B und C.
Es wird von diesem Brief vorausgesetzt, dass diejenigen, an die er geschrieben wurde, an den Herrn Jesus Christus Gläubige waren, und dass sie sich ihm bereits übergeben hatten. Sie werden «heilige Brüder» (3,1) genannt, was eine Hingabe an Christus impliziert. Auf diese Voraussetzung gründet der Verfasser seine Aufrufe und Warnungen.
Diese Basis lässt sich bei der ersten Serie von Aufrufen erkennen, die durch die Worte «Lasst uns» bestimmt werden.
1. (4,1) «Lasst uns fürchten».
Wenn die Hingabe an den Herrn echt ist und auf einer angemessenen Einschätzung seiner Überlegenheit über alle andern beruht, dann wird sie in sich ein Element heiliger Furcht (Scheu) haben. Der Kontext zeigt, dass es die große Aussicht ist, die mit Christus ins Blickfeld tritt, die eine solche Scheu davor schafft, sie zu verpassen. Heilige Scheu sollte immer ein Gesichtspunkt eines Christenlebens sein; nicht Furcht vor dem Gericht; nicht ein Schrecken vor dem Herrn; sondern die Furcht, dass man ALLES verpassen könnte, was im Ruf der Gnade inbegriffen ist. Das Vorhandensein einer solchen Ermahnung in sich selbst genügt schon, um zu beweisen, dass einfach Christus akzeptiert zu haben, nicht ausreicht, um all das zu erreichen, was darin enthalten ist, dass wir «von Christus Jesus ergriffen» worden sind.
2. (4,11) «Lasst uns Fleiß üben» (wörtlich: uns beeilen).
Das unterstreicht den Zeitfaktor, besonders den geistlichen Zeitfaktor. «So lange es heute heißt», oder «Heute, wenn ihr ... hört» ist hier die Grundlage des Aufrufs. Der Mangel an Dringlichkeit und Fleiß wird zwei Auswirkungen haben. Gottes konkrete Zeit-Gelegenheit - die nie anders als mit «heute» dargestellt wird - kann man verfehlen; oder, unsere Fassungskraft oder Fähigkeit, sich alles zunutze zu machen, was man ergreifen kann, gleitet vorbei, und wir finden uns wie Schiffe vor, die auf einer Sandbank gestrandet sind.
3. (4,14) «Lasst uns festhalten» (wörtlich: ergreifen).
Es ist so leicht, den Griff und die Festigkeit zu verlieren und locker und nachlässig zu werden. Ihr habt ein Bekenntnis abgelegt; dann bestätigt es, und lasst nicht seine volle Bedeutung und seinen Wert euren Händen entgleiten, und lasst es euch auch nicht wegnehmen. Schließt eure Hand fest darüber gegen alles, was es bei euch stehlen möchte.
4. (4,16) «Lasst uns ... mit Kühnheit»
Falsche Furcht, Ängstlichkeit, Unsicherheit oder sonst irgend ein Mitglied der großen Familie des Zweifels will uns wenn möglich fern halten. Aber der Thron der Gnade ist da. Das Blut hat den Weg zu ihm geöffnet. Der Hohe Priester streckt voller Sympathie uns die Hand Gottes entgegen, um sie zu ergreifen. Warum also dann so zaghaft, voller Zweifel, schwankend sein? Davon Abstand zu halten bedeutet nur, mehr und mehr in Verzagtheit und Satan‘s Anklagen verstrickt zu werden. Wage kühn den Sprung des Glaubens und tauche in Gottes Erbarmen und Liebe ein; traue ihm zu, dass er meint, was er sagt, und «tritt hinzu».
1. (6,1) «Lasst uns fortfahren...»
Der wahre Wert dieser Ermahnung liegt in der Bedeutung des griechischen Wortes, das hier verwendet wird. Es ist dasselbe Wort wie in Apg. 2,2 («brausender») und 2. Petr. 1,21 («bewegt»). In Wirklichkeit bedeutet es, von einem andern fortgetragen zu werden. Dies würde andeuten, dass Gott sich vorwärts bewegt, dass der Heilige Geist voran schreitet. Er verharrt nicht und hält nicht hin, sondern verfolgt mit großer Energie sein Ziel. Lasst uns mit ihm Schritt halten. Lassen wir zu, dass wir von seinem Vorandrängen gepackt werden. Lasst uns seiner Energie nachgeben. Lassen wir nicht zu, dass wir vom Herrn zurückgelassen werden. «Volles Erwachsenenalter» ist sein Ziel; lasst uns keine Säuglinge und keine unreifen Jugendliche bleiben.
2. (10,22) «Lasst uns hinzutreten».
Das ist nicht dasselbe wir Nr. 4 von vorhin. Dort ging es darum, dass wir uns korrigieren lassen, um akzeptiert zu werden. Das soll Gemeinschaft ermöglichen, nachdem wir uns korrigieren ließen. Einerseits brauchen wir nicht draußen stehen zu bleiben, um dann, vielleicht, zu bitten, uns nähern zu dürfen. Andererseits sollten wir nicht mit Vorbehalten kommen, die uns nur davon abhalten, positiv in die Gemeinschaft einzutreten, die für uns vorhanden ist.
3. (10,23) «Lasst uns festhalten».
Wiederum ist dies nicht dasselbe wie Nr. 3 von vorhin. Dort ging es um darum, zu ergreifen und es fest in den Griff zu bekommen. Hier jedoch geht es darum, den Griff zu behalten. Es geht um die Frage der Beharrlichkeit im Blick auf «unsere Hoff-nung», «damit sie nicht wankt». Das geht bis an den Wurzelgrund dieses ganzen Briefes. Es ist ein kostspieliger und schwieriger Weg. Er verläuft «außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend». Wir gaben ein Bekenntnis ab. Vielleicht wurden wir dann schwächer. Nachdem wir wieder festen Griff gewonnen haben, lasst uns nicht nochmals schwach werden, sondern beharrlich dabei bleiben.
4. (10,24) «Lasst uns auf einander acht haben».
Eher: Lasst uns einander «studieren», hinsichtlich dessen,
a. das Gute in einander zu wecken.
b. Einander zum Guten, zur Lieb und zu guten Werken anzuspornen.
Kurz: Lasst uns Notiz nehmen von einander hinsichtlich dessen, einander positiv zu helfen, das Ziel zu erreichen - nicht, die Fehler und Mängel von einander festzustellen und so ihren und unseren Fortschritt zu verzögern.
Nachdem er zu einer erneuten Hingabe aufgerufen und gezeigt hat, was Hingabe ist, geht der Verfasser mit derselben Wendung «Lasst uns» weiter zu einer Reihe von Ermahnungen, welche aufzeigen, was für eine Person ein wirklich hingegebener Mensch sein wird; was ihn notwendigerweise charakterisieren sollte.
1. (12,1) «Lasst uns ablegen».
Wenn wir es in Bezug auf diese «himmlische Berufung» (3,1) wirklich ernst meinen, sollten wir alles vom Standpunkt aus betrachten, ob es sich positiv oder negativ auf sie auswirkt. Wird diese Sache helfen? Wenn nicht, dann kommt sie nicht in Frage. Denn sie zu hindern, oder zu verzögern, oder ihren Fortgang zu erschweren, bedeutet ihre Verurteilung. Der Kurs muss so klar wie nur möglich sein, und alles und jeder, der es damit nicht ernst meint, der sie bloß behindert oder damit herumtrödelt, muss entfernt werden. Das bezieht sich auch auf das «Gepäck des Lebens»; ebenso sehr aber auch auf Zerstreuungen und Ablenkungen; und es bezieht sich auch auf Enttäuschungen und Entmutigungen. Es gibt in diesem Lauf keinen Platz für Temperamentsschwankungen und Launenhaftigkeit ; und die leicht umstrickende Sünde des Zweifels und des Misstrauens wird den Pilger schnell zum «Sumpf der Verzagtheit» führen (Bunyan: Die Pilgerreise).
2. (12,1) «Lasst uns ... laufen».
Nicht über Hingabe reden; nicht bloß Interesse dafür zeigen; nicht bloß ein Mitglied des «Hingabe-Komitees sein; nicht ein Experte in der Technik des Athletentums sein, der alles über das Laufen und die Läufer weiß, über Läufe, Regeln, Outfit und Preise; sondern «lasst uns LAUFEN», lasst es uns tun. Wie viele wissen alles über die Lehre der Hingabe, die aber Langsamstarter, schwache Läufer sind, die immer gedrängt, angespornt werden müssen und Erfrischungen oder Ruhepausen benötigen! Lasst uns damit weiterfahren, und die «mit Geduld». FAHRT damit FORT.
3. (12,28) «Lasst uns Gnade finden, durch die wir dienen können».
Hier deutet das griechische Wort für «dienen» an, dass es sich um ein Erkenntlichzeigen für etwas handelt, das man empfangen hat. Gnade ist ein großer Segen und eine Wohltat. Die Gnade, die uns mit einer solch «himmlischen Berufung» zu einer solchen «Gefährtenschaft» (3,1) berufen hat, schafft mit Sicherheit eine Verantwortung, die aus einer Schuldigkeit geboren wird. Lasst uns diese Gnade mit dankbaren Herzen annehmen und unseren Sinn für unsere Schuldigkeit durch Dienst zum Ausdruck bringen.
4. (13,13) «Lasst uns zu ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers».
Aufgrund der Wertschätzung der überragenden Grüße von Christus und der Gnade, die uns widerfahren ist, lasst uns zeigen, dass wir uns seiner nicht schämen, sondern dass wir vielmehr bereit sind, mit ihm zu leiden und Seine Schmach zu tragen. Wenn wir Christus wirklich hingegeben sind, werden wir froh sein, bei ihm stehen zu können können, auch wenn und wo immer er und seine Interessen ausgeschlossen werden, selbst vom christlich-judaistischen System, das mehr für sich selbst als für ihn existiert.
5. (13,15) «Lasst uns ständig ein Opfer des Lobes darbringen»
Dies ist der Schlussstein, die Krone der Hingabe. Schmach und Zurückweisung, ja, und alles übrige, was damit zusammenhängt; aber ist er es wert? Wird das Ende es rechtfertigen? Sohnschaft, Herrschaft, Partnerschaft mit Christus, gekrönt mit Herrlichkeit und Ehre, Gottes Haus für immer - das sind die Dinge, die in diesem Brief im Blickfeld gehalten werden. Wenn wir wirklich IHN gesehen haben, und was Partnerschaft mit ihm bedeutet, so dass wir ihm völlig ergeben sind, werden wir uns in jenem priesterlicher Zug befinden, der - gemäß der Anordnung Davids - nie aufgehört hat. Dieser Brief lässt sich so ausführlich über die Linie des Hauses und des priestertums und der Opfer aus, dass es nicht überrascht, dass er bei den «24 Ordnungen von Sängern» endet, wobei eine solche Ordnung einem ganzen Umlauf der Sonne, Tag und Nacht, entspricht. «Ein ständiges Opfer des Lobes», oder «ein Opfer des ständigen Lobpreises».
So ergeht also in diesem Brief vierzehn Mal der Aufruf gegen jede Möglichkeit, darin zu versagen, stets durch ein aktives sich Ausstrecken nach Gottes vollem Gedanken für sein Volk charakterisiert zu sein. Der Geist von Kaleb ist so zutreffend für das alles: er «folgte dem Herrn vollständig nach», und verlangte in fortgeschrittenem Alter nach dem Hügelland und einem Berg, um zu beweisen, dass er noch immer derselben Gesinnung war, und dass der Herr solche Leute mit geistlicher Vitalität ausstattet. Er hatte gesehen, dass Gott seine Absicht mit seinem Volk bekannt gemacht hat, und darauf kam es allein an. Er - Kaleb - würde nichts Geringeres akzeptieren. Er würde nicht davon reden dass das alles zwar «ideal, aber nicht praktizierbar» sei, oder «dass wir den Stand der Dinge, wie er nun einmal ist, akzeptieren sollten, und das Beste aus einem schlechten Job machen sollten». Jede Art derartiger Rede wäre für Kaleb Betrügerei oder Verrat; Unloyalität gegenüber dem Herrn; ein Zugeständnis, dass Gott zwar etwas beabsichtigt habe, dass es sich aber als nicht machbar erwiesen habe und deshalb für etwas Geringeres ausrangiert werden müsse. Kalebs Sinn war SO; die Mehrheit mochte eine andere Einstellung haben, doch solange Gott nicht eine weitere und modifizierte Offenbarung seines Vorsatzes gab, würde er so weiterfahren, auch wenn er der einzige wäre, der dabei bliebe. Diese Haltung, diesen Geist und diese Aktivität ehrte Gott vollständig, und nicht nur Kaleb erbte, sondern auch der Stamm Juda konnte das Erbe antreten wegen seiner Treue. Und Juda steht schließlich für etwas ganz Besonderes im göttlichen Gedanken!
Solange der «Hebräerbrief» und der Epheserbrief noch immer einen Teil der Bibel bleiben, so ist dies dasjenige, was Gott für sein Volk will, selbst wenn nur vergleichsweise wenige «weitergehen». Es kann nur ernsthaften und schlimmen Verlust bedeuten, eine andere Haltung einzunehmen. Daher verbindet der Verfasser das wiederholte «Lasst uns» mit der wiederholten Warnung «damit nicht». Die neun Stellen, in denen diese Warnung vorkommt, sind einer Betrachtung wert. Sie behandeln jeder Form möglicher Ursachen des Versagens - angefangen bei der Wachsamkeit , die nötig ist, um das Vertäuen zu begreifen, wenn das Schiff von der Strömung fortgetragen wird entweder aufs offene Meer oder auf eine Klippe zu, bis hin zu einem Herzen, das sich gegen den Aufruf «Heute, wenn ihr meine Stimme hört» verhärtet. Dieses letztere ist ein Appell an Christen, nicht HIER an die Unerretteten, wie er fast ausschließlich von den Predigern benutzt wird.
Das alles bringt uns denn zurück an den Ausgangspunkt - die Inhalte dieses Briefes - und sollte uns dazu bringen, das moderne Christentum und unsere Position zu überprüfen, um festzustellen, ob es sich um ein festes System, eine Tradition, ein Erbe handelt; oder ob es uns wirklich - und JETZT - in das Land und ans Ziel bringt, zur Fülle Christi.
In Übereinstimmung mit dem Wunsch von T. Austin-Sparks, dass das, was er frei erhalten hat, weitergegeben und nicht gewinnbringend verkauft werden sollte und dass seine Botschaften Wort für Wort reproduziert werden, bitten wir Sie, diese Botschaften mit anderen zu teilen und frei anzubieten, um seine Wünsche zu respektieren - frei von jeglichen Änderungen, kostenlos (außer notwendigen Vertriebskosten) und mit dieser Erklärung inklusive.