von T. Austin-Sparks
Kapitel 6 - Das Königreich, und wie man Hineinkommt
«Denn die, welche in Jerusalem wohnen, und ihre Obersten haben diesen nicht erkannt und haben die Stimmen der Propheten, die an jedem Sabbat gelesen werden, durch ihren Urteilsspruch erfüllt» (Apg. 13,27).
«Wahrlich, ich sage euch: Unter denen, die von Frauen geboren sind, ist kein größerer aufgetreten als Johannes der Täufer; doch der kleinste im Reich der Himmel ist größer als er. Aber von den Tagen Johannes des Täufers an bis jetzt leidet das Reich der Himmel Gewalt, und die, welche Gewalt anwenden, reißen es an sich. Denn alle Propheten und das Gesetz haben geweissagt bis hin zu Johannes. Und wenn ihr es annehmen wollt: Er ist der Elia, der kommen soll. Wer Ohren hat, zu hören, der höre!» (Mt. 11,11-15).
«Das Gesetz und die Propheten weissagen bis auf Johannes; und von da an wird das Reich Gottes verkündigt, und jedermann drängt sich mit Gewalt hinein» (Lk. 16,16).
Ich denke, wir können erkennen, dass das gemeinsame Verbindungsglied zwischen Apg. 13,27 und Mt. 11,13 «aller Propheten» ist. Bei der ersten Stelle hörten sie die Stimmen der Propheten nicht; bei der andern wird gesagt: «Wer Ohren hat, zu hören, der höre» (Mt. 11,15).
Zuallererst müssen wir die Bedeutung der Aussage in Matthäus 11 verstehen: «Alle Propheten ... haben geweissagt bis hin zu Johannes». Was haben sie geweissagt? Natürlich haben sie vieles geweissagt. Das wichtigste Augenmerk ihrer Prophetien jedoch betraf den kommenden König und sein Königreich. Und das war sogar in eine solchen Maße der Fall, dass im Neuen Testament die Angelegenheit des Königreichs als sicher vorausgesetzt wird. Wenn ihr das Neue Testament öffnet und anfangt, in den Evangelien zu lesen, dann wird keine Erklärung gegeben. Das Königreich wird nicht eingeführt, als wäre es den Menschen unbekannt. Ihr findet unter ihnen sogar solche, die zum Herrn Jesus kamen und den genauen Ausdruck benutzten, und ihr stellt fest, dass der Herr selbst, obwohl die Sache von solchen, die zum ihm kamen, nicht einmal erwähnt wurde, die Wendung «das Königreich» ohne irgendwelche Einführung oder Erklärung benutzte.
Nikodemus war ein solcher Fall. Wir finden nichts in der Erzählung, das darauf hinweisen würde, dass Nikodemus irgend etwas vom Königreich gesagt hätte. Er begann mit den Worten: «Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, der von Gott gekommen ist». Da war kein Wort vom Reich die Rede. Doch der Herr Jesus unterbrach ihn und sagte: «Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen!» (Joh. 3,2.3). Offensichtlich war das dasjenige, das Nikodemus im Sinn hatte, und der Herr wusste das. Ihr seht, die Sache wird im Neuen Testament als sicher vorausgesetzt; und auch wenn später (wie wir das in der Apostelgeschichte und den daran anschließenden Briefen feststellen können), die echte himmlische Erklärung gegeben wird, oder zumindest einige Belehrung bezüglich der wahren Bedeutung vorhanden ist, so ist das Königreich doch etwas, das das jüdische Volk sehr stark beschäftigte, und natürlich kam dies von den Propheten her. Die Propheten hatten viel zu sagen in Bezug auf das Königreich, und einige von ihnen hatten etwas ganz Entscheidendes in Bezug auf ihren König zu sagen. Wir wollen nicht versuchen, das zu beweisen. Es ist eine Feststellung, die ihr sehr leicht verifizieren könnt.
Was weissagten die Propheten? Sie weissagten umfassend vom König und seinem Königreich. Welches war der Höhepunkt der Propheten in diesem umfassenden Zusammenhang? Es war Johannes der Täufer. Er fasste sie alle zusammen; er war sozusagen der umfassende Prophet. Und was war Johannes der Täufer? Er war die Endstation oder der Wendepunkt zwischen all dem, was gewesen war und dem, was nun werden soll, zwischen dem Alten und dem Neuen Testament. Das ist die Bedeutung dieser Aussage hier: «alle weissagten... bis hin zu Johannes». Bis hin zu Johannes; jetzt – seit Johannes. Was war die Botschaft von Johannes? «Tut Buße, denn das Reich des Himmels ist nahe gekommen» (Mt. 3,2). Aber parallel dazu lautet der hervorragende Ton von Johannes: «Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt» (Joh. 1,29). Das sind nicht zwei verschiedene Dinge; es ist ein und dasselbe. «Das Königreich … ist nahe gekommen»; «Siehe, das Lamm Gottes!»
Worum ging es denn eigentlich zur Zeit des Johannes – was war es, das zu neuer Bedeutung gelangte, neue Kraft empfing, weil es zu etwas unmittelbar Bevorstehendem wurde; nicht länger nur ein Gegenstand der Prophetie, sondern jetzt höchste Aktualität gewann? Es war das Königreich der Himmel. «Das Gesetz und die Propheten galten bis hin zu Johannes; von dieser Zeit an wird das Evangelium vom Reich Gottes verkündigt». Die Propheten hatten es geweissagt; nun wird es als gekommen verkündigt, und zwar gekommen mit dem «Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt».
Was also ist dann das Königreich der Himmel? Wir haben Schritt für Schritt dazu hingeführt, und wenn wir diese letzte Frage beantworten, werden wir klarer sehen, was es war, das diese jüdischen Führer und die Bewohner von Jerusalem nie sahen, obwohl sie die Propheten Woche für Woche gehört hatten.
Ich will dieser Herausforderung aufs Neue Nachdruck verschaffen. Ich fühle, dass es eine sehr ernste Sache ist, dass das Königreich der Himmel überhaupt je irgend jemandem nahe gekommen ist. Seht ihr, der Herr wird letztlich jedermann nach ihrer Gelegenheit richten. Die Gelegenheit ist gegeben worden - und Kontakt ist Gelegenheit. Das Vorhandensein des Königreiches ist diese Gelegenheit. Was wird mit dieser Gelegenheit gemacht? Der Herr Jesus wandelte dreieinhalb Jahre lang inmitten der jüdischen Nation. Gerade seine Gegenwart unter ihnen war ihre Gelegenheit - und welch schreckliche, schreckliche Konsequenz ergab sich aus ihrem Versagen, ihre Gelegenheit zu nutzen!
Nun mag jemand in dieser Kategorie sein, der diese Worte liest. Dadurch, dass ihr sie lest, wird euch, falls es nie zuvor geschah (was wir schwerlich annehmen können) das Evangelium von Jesus Christus angeboten - die Erkenntnis der Tatsache des Herrn Jesus und seines Kreuzes. Dies je in eurer Reichweite gehabt zu haben, genügt schon, um euer ewiges Schicksal zu besiegeln. Wenn das Königreich der Himmel im Umfeld und Bereich eures Lebens nahe gekommen ist, so dass ihr davon Kenntnis nehmen konntet - dann ist das der Grund, auf dem euer ewiges Schicksal entschieden werden kann. Natürlich lag da noch viel mehr vor im Falle dieses Volkes, und darum war ihre Verurteilung auch um so drastischer. Die Propheten weissagten so, dass sie es hören konnten, und doch hörten wegen irgend etwas in ihrem Make-up, wegen irgend einer Reaktion in ihnen selbst, die Führer und das Volk nie, was ihnen zu Ohren kam; sie erkannten nie, dass da etwas war, das sehr folgenschwer war, und dass sie herausfinden sollten, worin die Konsequenzen bestanden. Sie nahmen nicht die Haltung ein: «Wenn hier etwas vorliegt, das mich betrifft, dann muss ich wissen, was es ist».
Ihr könnt schwerlich um etwas Geringeres als dies bitten, nicht wahr? Doch gerade die Abwesenheit dieser Art von Reaktion auf die Gegenwart des Evangeliums kann, wie ich gesagt habe, der Grund sein, auf dem das Urteil vollstreckt werden wird. In ihrem Fall traf dies zu, und was für ein furchtbares Gericht war das! «Euer Haus wird euch verwüstet gelassen werden» (Mt. 23,38). Gab es je eine Geschichte von einer schrecklicheren Verwüstung als die Geschichte der Juden seit damals? Und wenn schon, so ist dies ja nur ein Gleichnis von einer Verwüstung; etwas hier auf dieser Erde. Was muss dann erst Verwüstung im geistlichen und ewigen Sinn bedeuten - von Gott verlassen, und dies mit vollem Wissen? Es ist eine ernste Botschaft, und natürlich macht sie den Weg frei für diesen andern Teil, für das gewaltsame Eindringen in das Königreich Gottes. Das ist etwas, das ernst genommen werden muss, etwas, dem gegenüber ihr nicht sorglos oder gleichgültig sein könnt.
Was ist das Königreich? Die Antwort darauf lässt sich in drei oder vier kurzen Aussagen geben. Als was erwies sich das Königreich der Himmel letztlich? Ich weise das System der Interpretation zurück, die behauptet, dass den Juden zu jenem Zeitpunkt ein buchstäbliches, irdisches, zeitliches Königreich angeboten worden sei. Das glaube ich nicht. Es wäre eine armselige Sache gewesen für das Volk, von dem wir in den Evangelien lesen, das Königreich in ihren Händen gehabt zu haben - wo es doch wenig Herrlichkeit und Befriedigung für Gott in ihnen gab. Blickt auf das heutige Palästina, und seht, was für ein Königreich das sein könnte in den Händen dieses Volkes! Was ist für die Welt möglich, wenn so etwas das Königreich bekommt? Nein, ich verwerfe die Interpretation eines zeitlichen Königreichs, das Israel durch Jesus zu jener Zeit angeboten wurde. Aber als was erwies sich das Königreich der Himmel das in den Tagen Johannes des Täufers verkündigt wurde, und was sollte es bedeuten, so wie der Herr Jesus es interpretierte und später auch die Apostel?
Was das Königreich ista. Ein neues Leben
Zunächst einmal war das Königreich der Himmel ein neues Leben, vollkommen anders als dasjenige, das die Menschen in ihrer ganzen Geschichte seit Adam kannten. Genau das hat der Herr gemeint bei seiner allerersten Erwähnung des Königreiches, als er mit Nikodemus über das Bedürfnis seiner Seele sprach. «Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen» - weil es ein anderes Leben ist, das da eingetreten ist, als dasjenige unserer Geburt. Es geht nicht nur um die Kräftigung eines alten Lebens. Es ist nicht so, dass ein altes Leben in neue Interessen hinüber schwingt, indem es von einer Linie auf eine andere einschwenkt, von einem System der Beschäftigung zu einem andern: Einst standet ihr ganz für die Welt ein, und nun steht ihr mit demselben Leben und Interesse ganz für das Christentum ein. Nein, es ist ein anderes, verschiedenes Leben, ein Leben, das es nie zuvor gab, von Gott selbst geschenkt. Das eigentliche Wesen der Königreichs der Himmel besteht darin, dass es eine himmlische Natur in einem himmlischen Leben ist, das uns als eine besondere Gabe durch eine Krise vermittelt wird. Ein anderes Leben - das ist das Königreich, damit beginnt es zumindest.
b. Eine neue Beziehung
Es ist auch eine neue Beziehung, eine Beziehung zu Gott: und es ist nicht einfach so, dass wir uns für Gott zu interessieren beginnen - dass Gott zu einem Gegenstand unserer Betrachtung wird und wir von einer Beziehung zu einer andern hinüber schwingen, weil wir nun eben das Christentum angenommen haben. Nein, es ist eine Beziehung, deren wahres Wesen dieses Leben selbst ist. Wir haben ein vollkommen neues und anderes Bewusstsein, was unsere Beziehung zu Gott betrifft. Die große Wahrheit der Evangelien, besonders wie sie im Johannesevangelium betont wird, ist die, dass durch Jesus Christus eine Offenbarung der Beziehung zu Gott gekommen ist. «Ich habe den Menschen, die du mir aus dieser Welt gegeben hast, deinen Namen kundgetan» (Joh. 17,6). Jener Name, von dem er stets spricht, repräsentierte eine neue Beziehung - «Vater»; nicht im Sinne einer allgemeinen und universellen Vaterschaft Gottes und Bruderschaft von Menschen, sondern eine spezifische, neue Beziehung, die nur dadurch zustande kommt, dass der Heilige Geist durch einen entschiedenen und kritischen Akt in das Leben hereinkommt. «Gott sandte den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, der ruft: Abba, lieber Vater!» (Gal. 4,6). Wann geschah dies bei euch? Was war das allererste Flüstern eures neuen Lebens? «Vater!» - geäußert aus einem neuen Bewusstsein heraus. Nicht mehr ein Gott, der weit weg ist, undenkbar, schrecklich, vor dem wir uns fürchten; nein, «Vater!» Wenn wir «vom Geist geboren» werden, kommt eine vollständig neue Beziehung zustande.
c. Eine neue Konstitution
Dann ist das Königreich der Himmel auch eine neue Konstitution. Ich denke nun nicht an eine neue Liste von Gesetze und Regeln, sondern an eine neue Konstitution, insofern es mich und euch betrifft. Wir werden neu konstituiert, mir einer neuen Reihe von Fähigkeiten, die Dinge möglich machen, die vorher nie möglich waren. Es sollte festgehalten werden - und ich möchte euch das neu aufs Herz legen - dass das Kind Gottes, als Mitglied des Königreichs der Himmel, die Verkörperung eines Wunders ist, was bedeutet, dass es in jedem von ihnen übernatürliche Möglichkeiten und Fähigkeiten gibt. Was für gewaltige Dinge ereignen sich doch in der Geschichte eines Gotteskindes. Wenn wir schließlich völlig und klar sehen, werden wir erkennen, dass sie wieder und wieder nichts Geringeres als göttliche Wunder gewesen sind. Wir haben keine Ahnung, was für Mächte darauf angelegt sind, ein Kind Gottes zu vernichten, und wie vieles von dem, was es bis zum Ende hindurch bewahrt, der Ausübung der allmächtigen Kraft Gottes zu verdanken ist. Einige von uns wissen ein wenig davon: dass wir nur deshalb überlebten, weil Gott seine Macht über die anderen immensen feindlichen Mächte ausgeübt hat, so dass wir durch die Macht Gottes bewahrt wurden - und dass es die Macht Gottes erfordert, uns zu bewahren.
Schon der Anfang des Lebens eines Gotteskindes ist ein Wunder. «Wie kann ein Mensch von neuem geboren werden?» Es gibt keine Antwort auf diese Frage, es sei denn, dass Gott es vollbringt. «Wie kann dieser uns sein Fleisch zu essen geben?» (Joh. 6,52). Das heißt, wie kann das Kind Gottes durchwegs am Leben erhalten werden ohne irgend etwas hier, das ihm hilft, es unterstützt und nährt? Auch darauf gibt es keine Antwort, es sei denn, Gott vollbringt es; und wenn er es nicht tut, wird das Kind Gottes, wegen der außerordentlichen Mächte, die sich darauf konzentrieren, des zu zerstören, ganz einfach untergehen. Die Vollendung des Lebens eines Gotteskindes wird eben solch ein Wunder sein. «Wie sollen die Toten auferstehen? Und mit was für einem Leib sollen sie kommen?» (1. Kor. 15,35). Die Antwort darauf ist dieselbe - Gott allein muss es bewerkstelligen.
Das Ganze ist von Anfang bis Ende ein einziges Wunder. Es ist eine neue Konstitution, die in sich Möglichkeiten und Fähigkeiten birgt, die vollständig über und jenseits auch der höchsten Ebene menschlicher fähigkeiten liegen; das heißt, höher und jenseits des ganzen Königreichs der Erde und der Natur.
d. Eine neue Berufung
Ferner ist es auch eine neue Berufung. Es ist etwas, für das es sich zu leben lohnt, etwas, dem es sich lohnt zu dienen, etwas, das sich lohnt, in Gang gesetzt zu werden. Sie wird zum Bereich und zum Mittel eines neuen Lebens-Dienstes und Zweckes. Das ganze Bewusstsein eines wahrhaft wiedergeborenen Gotteskindes ist so: «Nun weiß ich, warum ich lebe! Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum ich überhaupt geboren wurde; ich habe darüber gemurrt, ich hatte das Gefühl, ich hätte wohl kaum eingewilligt, auf diese Welt gebracht zu werden, ohne dass man mich vorher konsultiert hätte, ob ich überhaupt kommen wollte; doch nun sehe ich, dass es da einen bestimmten Zweck gibt - ich habe etwas, wofür es sich zu leben lohnt.» Ein wahrhaft wiedergeborenes Gotteskind zieht los und sagt den Leuten, dass es sich schließlich doch lohnt, zu leben! Es hat hinter allem übrigen das erkannt, was einer ewigen Absicht und Bedeutung entspricht - es lebte nie als etwas Aktives, bis er wiedergeboren und in das Königreich Gottes eingegangen ist. Das Königreich Gottes ist eine neue Berufung, ein neuer Lebenssinn. Es gibt dem Leben eine Bedeutung. Das ist das Königreich.
Ist das nicht eine völlig andere Vorstellung als die, die aus dem Königreich einen Ort mit bestimmten Gesetzen und Regeln machen möchte - «Du sollst», und «Du sollst nicht» - also etwas Objektives? «Das Königreich Gottes ist in euch» (Lk. 17,21), und es entspricht dieser Art.
e. Eine neue Anziehungskraft - zum Himmel, nicht zur Erde hin
Zudem ist es etwas von oben, und das beinhaltet mit Sicherheit, dass es in jeder Hinsicht transzendent ist. Es ist etwas, das lebt, und es bringt das Leben auf eine höhere Ebene. Das heißt, wenn das neue Leben von oben, vom Himmel, kommt, wird es immer zurück zu seinem Ursprung gezogen werden, und wenn dieses neue Leben in uns wirksam ist, wird es uns erheben, wird es uns zu Gott empor ziehen. Es wird bewirken, dass wir als erstes fühlen, dass diese Welt nicht unser Zuhause ist. Es war unser Zuhause; alles für uns war hier vorhanden, bis das geschah; wir sahen nichts darüber hinaus. Jetzt gehören wir nicht mehr zu ihr, wir gehören zu etwas Anderem; und auf eine merkwürdige Weise bewegen wir uns weiter und weiter von dieser Erde weg. Wir stellen fest, dass es für uns hier von Tag zu Tag unbequemer wird. Ihr seid im Königreich, wenn ihr etwas wie diese Erfahrung macht. Wenn ihr es bequem findet und ihr glücklich und zufrieden seid, hier unten weiterzumachen, solltet ihr schwerwiegend daran zweifeln, wo ihr euch im Blick auf das Königreich befindet. Doch wenn ihr euch zunehmend bewusst werdet, dass innerlich die Distanz zwischen euch und all dem, was hier unten ist, zunimmt, dann ist das Königreich tatsächlich am Wirken, dann ist das Königreich der Himmel gekommen.
Nun, etwas anderes: Das Königreich ist gekommen, aber dennoch ist es stets am Kommen. Wir sind eingegangen, aber wir sollten dennoch stets hinein gehen. Es findet sich ein kleines Wort am Ende des Hebräerbriefes: «Darum, weil wir ein unerschütterliches Reich empfangen…» (Hebr. 12,28). Der wörtliche Sinn lautet: «da wir uns im Verlauf oder Prozess befinden, ein Königreich zu empfangen, das nicht erschüttert werden kann…» Es ist zwar gekommen, aber es kommt immer noch; und genau an diesem Punkt müssen wir, so denke ich, einen Unterschied feststellen, wir müssen zwischen zwei Dingen unterscheiden: Zwischen der Bekehrung und der Errettung.
Habt ihr je diesen Unterschied vorgenommen? Bekehrung und Errettung sind etwas Grundverschiedenes. Die Bekehrung ist eine Krisis, etwas, das vielleicht plötzlich eintritt, in einem Augenblick, und schon ist es geschehen. Aber die Errettung? Das ist etwas, das erst begonnen hat; aber ihr findet, dass das Neue Testament auch davon spricht, dass ihr «das Endziel eures Glaubens davontragt, die Errettung der (oder: eurer) Seelen!» (1. Petr. 1,9). Damit zeigt es an, dass eure Errettung noch in der Zukunft liegt. Einige haben daraus eine falsche Lehre konstruiert; sie lehren, man könne bis zum Schluss nicht wissen, ob man gerettet sei, weil hier in der Zeitform der Zukunft gesprochen werde. Doch wird sind gerettet, aber wir werden noch gerettet. Wir sind durch die Bekehrung ins Reich Gottes eingetreten, aber die Errettung ist etwas viel Größeres als die Bekehrung. O, die Errettung ist etwas sehr Umfassendes, sie ist eigentlich bloß ein anderes Wort für das Königreich - für das Königreich, das ständig am Kommen ist. Ein geistliches Baby, das eben erst göttliches leben empfangen hat, hat noch nicht alles bekommen, höchstens die Möglichkeit zu allem. Es hat die Bekehrung, es hat die Wiedergeburt erlebt. Wollt ihr sagen, ein kleiner Säugling habe alles, was er einmal haben sollte? Als Veranlagung, im Leben drin, ist alles vorhanden. Aber wie viel muss er noch von dem erkennen, was dieses Leben beinhaltet, von allem, was es mit sich bringt, und wohin es ihn führen wird, von den Möglichkeiten, die in ihm schlummern!
Das ist der Unterschied zwischen der Bekehrung und der Errettung. Das Königreich ist ein weitläufiges Königreich - «Sein Reich ist ein ewiges Reich» (Daniel 4,3). «Die Mehrung der Herrschaft und des Friedens wird kein Ende haben» (Jes. 9,7). «Kein Ende» bedeutet schlicht, dass es sich in Ewigkeit ausdehnen wird. Könnt ihr darauf bloß eine geographische Sache machen? Gewiss nicht. Es muss geistlich verstanden werden - die weitläufigen, unerschöpflichen Ressourcen Gottes für sein Volk. Es wird Ewigkeiten dauern, diese Ressourcen zu erkennen und auszuschöpfen, das sind die Dimensionen seines Königreiches.
Das Königreich leidet GewaltNun, nachdem wir auf eine sehr unvollkommene Weise betrachtet haben, worüber die Propheten eigentlich geredet haben, und womit wir, ihr und ich, eigentlich in Berührung gekommen sind, wollen wir noch sehen, was man verfehlen kann. Lasst uns einen Blick auf diese anderen Worte werfen: «Das Gesetz und die Propheten weissagen bis zu Johannes; von da an wird das Reich Gottes verkündigt, und jedermann drängt sich mit Gewalt hinein» (Lk. 16,16). «Aber von den Tagen Johannes des Täufers an bis jetzt leidet das Reich der Himmel Gewalt, und die, welche Gewalt anwenden, reißen es an sich» (Mt. 11,12). Es «leidet Gewalt». Das bedeutet nicht einfach, dass es Gewalt zulässt. Es bedeutet tatsächlich, dass es nach der Gewalt ruft, und dass nur gewalttätige Menschen es mit Gewalt einnehmen. Lukas formuliert «gewalttätig hineingehen».
Hier ist der Geist der Bürgerschaft in diesem Königreich - «mit Gewalt». Warum? Das ist nicht bloß ein Appell, es ernst zu meinen - obwohl es das sicher einschließt, wenn man sieht, was für eine gewaltige Sache dieses Königreich ist, und welch immensen Verlust man erleidet, wenn wir es nicht Ernst nehmen. Doch seht ihr, der Herr Jesus redet inmitten von Dingen, die sich ständig entgegenstehen. Da gibt es ein vollständig organisiertes System, das ein ungeheures Vorurteil zum Ausdruck bringt. Bei einer Gelegenheit sagte er zu ihnen: «Aber weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler, dass ihr das Reich der Himmel vor den Menschen zuschließt! Ihr selbst geht nicht hinein, und die hinein wollen, die lasst ihr nicht hinein!» (Mt. 23,13). Da ist alles aufgeboten, vom Teufel bis zu den Menschen, um Hindernisse in den Weg zu legen; hineinzugehen erfordert deshalb Gewalt. Wenn ihr gehindert werden könnt, dann werdet ihr auch gehindert. Wenn ihr es auf eine leichte Weise haben wollt, dann liefert ihr antagonistischen Kräften allen Grund liefern, den sie sich nur wünschen können, um euch aus dem Rennen zu werfen.
Das ist der Grund, warum ich aufgezeigt habe, dass es nicht bloß darum geht, ein für allemal ins Reich Gottes hineinzugelangen, sondern dass es sich um ein ständiges Hineingehen handelt. Das Königreich ist so viel größer als die Bekehrung. Natürlich, wenn ihr überhaupt gerettet werden wollt - ich mein gerettet im anfänglichen Sinn - dann werdet ihr damit ernst machen müssen. Ihr müsst es zu einer verzweifelt ernsten Sache machen, denn da wird sich alles aufmachen, um euch davon abzuhalten. Doch das Königreich bedeutet ein sehr großes Stück mehr als dies, bloß hinein zu gelangen, viel mehr, als bloß bekehrt zu werden. Es liegt ein schönes Stück mehr in der Absicht Gottes für unser Leben, als wir uns je vorgestellt haben, und wenn wir da hineingelangen möchten, muss uns Gewalt charakterisieren. Wir müssen es verzweifelt ernst meinen und zu dem Punkt gelangen, wo wir sagen: «Herr, ich habe mich zu allem entschlossen, was du in Christus meinst. Ich habe mich dazu entschlossen, und ich lasse nicht zu, dass dass die Vorurteile und das Misstrauen anderer Leute mir in den Weg treten; ich lasse nicht zu, dass irgend ein von Menschen gemachtes System mich daran hindert; ich gehe mit dir voran für alle deine Absichten. Ich bin bereit, allem Gewalt anzutun, das mir in den Weg treten will». Es ruft geradezu nach Gewalt, und wir müssen eine Menge Gewalt anwenden, um zu allem zu gelangen, was Gott für uns bereithält.
Oh, wie leicht werden doch Menschenleben in die Irre geführt, ganz einfach, weil sie nicht verzweifelt genug sind! Sie lassen sich von Dingen gefangen nehmen, die einschränken - Dinge, die an und für sich gut sein mögen, die sogar etwas von Gott in sich haben mögen, die aber dennoch einschränken, und die keinen weiten Weg offen lassen für alle Vorsätze Gottes. Der einzige Weg, um in all das zu kommen, was der Herr meint - ist der, verzweifelt zu sein, Menschen der Gewalt zu sein; Menschen zu sein, die sagen: «Durch die Gnade Gottes wird nichts und niemand, wie gut auch immer, mir im Wege stehen; Ich gehe mit Gott voran». Nehmt diese Position ein beim Herrn, und ihr werdet feststellen, dass Gott auch auf diesem Boden begegnet.
Kein Mensch - nicht einmal Paulus selbst - erkannten alles, was sie erkennen sollten. Paulus erhielt ständig neue Enthüllungen von dem, zu dem er berufen worden war. Er erhielt am Anfang etwas recht Starkes und Reiches; später wurden ihm unaussprechliche Dinge gezeigt (2. Kor. 12,4). Er wuchs ständig in seiner (geistlichen) Wahrnehmung. Doch warum? Weil er ein Mann der Gewalt war. Gott begegnet uns, wenn wir so sind. «Dem Hinterlistigen trittst du entgegen» (Ps. 18,26). Im Prinzip heißt das, dass Gott für euch das ist, was ihr für ihn seid. Er meint es ernst, wenn ihr es ernst meint. Es gibt eine ganze Menge im Königreich, das wir nie erwartet hätten. Glaubt das. Es gibt mehr zu wissen für uns alle, als irgend jemand auf dieser Erde weiß - weit mehr als die allergrößten Heiligen, die fortgeschrittensten Christen vom Vorsatz Gottes wissen.
Paulus deutet das an. In seinem Brief an die Philipper macht er deutlich, dass er, selbst am Ende seines Lebens, noch Dinge zu ergreifen hat, dass er es noch immer nötig hat, Dinge zu erkennen. «Um … zu erkennen» (Phil. 3,10). Es gibt viel mehr zu erkennen. Glaubt ihr das? Wollt ihr zulassen, dass euer Leben bloß im Maß dessen eingegrenzt werden soll, was ihr bereits kennt, oder in dem Maß anderer Leute? Nein - das Maß Christi ist Gottes Ziel. «Bis wir alle zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, zur vollkommenen Mannesreife, zum Maß der vollen Größe des Christus» (Eph. 4,13). Keine Bewegung, keine Gesellschaft, keine evangelikale Organisation, keine Gemeinde auf dieser Erde ist bis jetzt dahin gelangt, doch das ist das Ziel im Blickfeld. Aber Gott verlangt, damit wir zur Fülle gebracht werden können, dass wir Menschen der Gewalt sind, dass wir es wirklich ernst meinen, dass wir zu allem, das uns in den Weg tritt, sagen - und oh, diese plausiblen Stimmen, die dennoch subtil durch Vorurteile beeinflusst sind! - «Geh auf die Seite: ich gehe mit Gott weiter, ich lasse nicht zu, dass sich mir irgend etwas in den Weg stellt!»
«Das Evangelium vom Reich wird gepredigt». Könnt ihr euch vorstellen, wie jene Judaisierer zum Volk über Jesus geredet haben? «Passt auf; seht euch vor, dass ihr nicht einfangen werdet! Wir raten euch, euch da fern zu halten - lasst euch nicht zu sehr mit ihm ein!» All das ging vor sich. Paulus machte das die ganze Zeit zu schaffen. Er wurde während all seinen Reisen von diesen Leuten aufgespürt, die sich an seine Ferse hefteten und sagten: «Passt auf, das ist gefährlich!» Der Herr selbst erlebte dasselbe; und er sagte: «das Königreich Gottes leidet Gewalt». Es ruft nach der Gewalt; ihr werdet schon am Anfang nicht hinein kommen, und sicher werdet ihr nicht in wachsender Fülle hinein gelangen, es sei denn, ihr seid einer von jenen Leuten, die allem Gewalt antun, das sich dem vollen Vorsatz Gottes, wie er in Christus geoffenbart wurde, in den Weg stellt. Ihr werdet nicht einmal wissen, was dieser Vorsatz ist, es wird Gott nicht möglich sein, euch das nächste Stück davon zu offenbaren, es sei denn, er stellt fest, dass ihr jemand von dieser Art seid - jemand, der mit Gewalt eintritt.
Seid ihr so jemand? Nun, wenn wir passiv sind, dann geht uns alles verloren; wenn wir es ernst meinen, dann kann alles gewonnen werden. Der Herr mache aus uns solche Männer und Frauen, damit wir letztlich nicht unter die gezählt werden, von denen es heißt, «sie hätten Ohren, aber hörten nicht» (Hesekiel 12,2).
In Übereinstimmung mit dem Wunsch von T. Austin-Sparks, dass das, was er frei erhalten hat, weitergegeben und nicht gewinnbringend verkauft werden sollte und dass seine Botschaften Wort für Wort reproduziert werden, bitten wir Sie, diese Botschaften mit anderen zu teilen und frei anzubieten, um seine Wünsche zu respektieren - frei von jeglichen Änderungen, kostenlos (außer notwendigen Vertriebskosten) und mit dieser Erklärung inklusive.