von
T. Austin-Sparks
Zuerst veröffentlicht in den Zeitschriften "A Witness and A Testimony", Mär-Apr 1961, Vol. 39-2. Originaltitel: "The Spirit in Prison". (Übersetzt von Manfred Haller)
Von den späten Tagen der Apostel bis heute ist die Geschichte des Christentums eine Geschichte von Gefängnissen. Doch handelt es sich dabei nicht um eine Geschichte buchstäblicher oder materieller Gefängnisse, obwohl es auch eine nicht geringe Anzahl von solchen gegeben hat. Es ist die Geschichte von Gefängnissen, die das Ergebnis der seit langem eingeübten Gewohnheit des Menschen, den Geist in Knechtschaft zu bringen.
Wie oft ist der Geist losgebrochen und hat sich auf eine neue und freie Weise vorwärts bewegt, und dies nur um auf diesem Wege wieder unter die Kontrolle des Menschen zu geraten und in einer neuen Form, einem neuen Glaubensbekenntnis, einer Organisation, einer Denomination, einer Sekte, Ordnung oder Gemeinschaft und ähnlichem zu kristallisieren! Das unveränderliche Ergebnis davon war stets, dass die freie Bewegung und das Leben des Geistes eingeengt und sogar getötet wurde durch das Gefängnis einer Struktur, in die es hineingezogen oder gezwängt wurde.
Habe ich das Feuer des Geistes durch religiöse Tradition in Fesseln gelegt?
Jedesmal, wenn wir versuchen, etwas Göttliches in Wort oder Form zum Ausdruck zu bringen, grenzen wir es ein. Und wenn dieser Ausdruck oder diese Form zur fest eingeführten und anerkannten Formel wird, haben wir den Geist im Grunde genommen in Fesseln gelegt. Gott gibt eine Vision, und jede von Gott geschenkte Vision hat ein unbegrenztes Potential und unbegrenzte Möglichkeiten. Aber nur allzu schnell legen Menschen Hand an diese Vision, die sie nie selber durch den Geist empfangen haben. Dann werden die Trauben von Eschkol in ihren Händen zu Weinbeeren. So haben viele der lebendigen Früchte aus dem himmlischen Land auf diese Weise gelitten und sind zu ausgetrockneten, zusammengeschrumpften und salbungslosen Schatten ihrer früheren Herrlichkeit geworden.
Nachfolger, Sponsoren oder Anhänger bauen eine irdische Organisation über einer lebendigen Bewegung des Geistes, die einmal mit Feuer im Herzen irgend eines Propheten geboren wurde. Sie setzen die Vision in einer Tradition gefangen. Aus einer Botschaft wird ein Glaubensbekenntnis; eine himmlische Vision wird zu einer irdischen Institution; eine Bewegung des Geistes wird zu einem Werk, die durch den Dampf menschlicher Energie in Gang gehalten und durch menschliche Hilfsquellen aufrecht erhalten werden muss.
Jede echte (oder scheinbar echte) Abweichung oder Ablenkung von der anerkannten traditionellen Ordnung, dem Glaubensbekenntnis oder der Praxis wird später zu einer Häresie (Irrlehre), der man leidenschaftlich misstraut, die man unterdrückt oder hinauswirft. Was an seinem Anfang ein Energie-produzierender lebendiger Organismus war, der etwas ausdrückte, was Gott wirklich wollte und das er auch gebären ließ, ist allzu oft zu etwas geworden, das die nächste Generation zu unterhalten hatte und um das sie hart kämpfen musste, um es am Leben zu erhalten. Die Sache hat ein Eigeninteresse entwickelt, und es wird jeden und alles hart ankommen, der da eingreifen oder auch nur scheinbar eingreifen wollte. Der Geist ist zum Gefangenen der Institution oder des Systems geworden, und als Folge davon sind die Leute geistlich eingeschränkt worden.
Wie bin ich dahin gelangt, wo ich jetzt bin?
Warum ist all dies so wahr, warum läuft immer alles auf Mühseligkeit, Trennungen, Eifersüchteleien, Rivalitäten und oft auch Verführung hinaus? Wenn es irgend ein Medikament dafür gibt, welches ist es? Die Antwort findet man in einer ehrlichen und grundlegenden Frage: Warum bin ich da, wo ich jetzt bin? Bin ich bloß objektiv in etwas hinein geraten? War es etwas, das schon seine Form hatte, das mit einem Appell, einem Argument, einem Bedürfnis an mich herangetragen wurde? Oder hat der Geist die Augen meines Herzens geöffnet und mir eine himmlische Vision gewährt, die mich einerseits rufen ließ: «Weh mir», und andererseits «hier bin ich»? War es eine Lebenskrise? Habe ich einfach eine Lehre, ein Wahrheitsgefüge, ein Werk oder Unternehmen übernommen? Oder befand ich mich an der eigentlichen Quelle des Lebens? War es ein entschiedenes und übermächtiges Behändigtwerden von Seiten des Himmels? Ist meine (jetzige) Position die einer Beziehung zu etwas, von dem ich wieder zurücktreten kann? Mit einem Wort: Ist meine Gefangenschaft die eines Systems, einer bestimmten Ordnung oder von irgend einer äußeren Art? Oder bin ich der Gefangene des Geistes?
Der Apostel Paulus zeigt in besonderer Weise auf, dass die frühere Knechtschaft oder Gefangenschaft sogar darin bestehen kann, was er «Buchstabe» nennt. In diesem Sinne kann die Bibel Tod bedeuten («der Buchstabe tötet» 2. Kor. 3,6). Nicht, dass wir den Geist und das Leben ohne das Wort haben könnten, aber es kann sehr wohl umgekehrt sein. Denn wir können bestimmt das Wort ohne den Geist haben.
Was kostet es mich, vorwärts zu gehen?
Es ist entscheidend wichtig, dass alles, einschließlich wir selbst, ständig in Verbindung mit der ursprünglichen Quelle des Lebens gehalten wird. Nachfolge und Weiterführung (von irgend etwas) ist keine kirchliche, traditionelle Angelegenheit oder das Produkt einer menschlichen Wahl oder Entscheidung. Fortführung hat bestimmt nichts mit Politik, noch mit Nützlichkeit oder gar Angst zu tun. Fortführung ist eine Angelegenheit der Salbung - das gesalbte Auge, Ohr, die gesalbte Hand oder der gesalbte Fuß. Sie ist ein Feuer in den Knochen, nicht die Verpflichtung eines Berufs, einer Verbindung oder einer Idee.
Der Geist muss unseren Kurs und unsere Position initiiert haben. Auf dem ganzen Weg müssen wir uns auf den Geist beziehen und muss alles vom Geist abgeleitet werden. Überall, wo der Geist in seiner Freiheit eingeschränkt wird, wird dieser als Rebell auftreten. Und wenn er in uns ist, dann wird er auch uns zu Rebellen gegen ungeistliche Einschränkungen machen. Das bedeutet aber nicht einen Augenblick lang, dass alle Rebellion und jeder Anspruch auf das, was gewöhnlich «Freiheit» genannt wird, vom Geist kommt. Es bedeutet ganz einfach, dass wir im Bereich der Natur gebrochene Leute sind, der Kraft beraubt, für ihre eigenen Konzepte zu kämpfen.
Schließlich wird alles zu einer Frage der Gefangenschaft entweder des Geistes oder von irgend etwas anderem. Jedenfalls muss es uns das äußerste kosten, und weil der Geist ein tiefes und drastisches Werk in uns getan hat, sagen wir: «Hier stehe ich; ich kann nicht anders. So wahr mir Gott helfe!»
In Übereinstimmung mit dem Wunsch von T. Austin-Sparks, dass das, was er frei erhalten hat, weitergegeben und nicht gewinnbringend verkauft werden sollte und dass seine Botschaften Wort für Wort reproduziert werden, bitten wir Sie, diese Botschaften mit anderen zu teilen und frei anzubieten, um seine Wünsche zu respektieren - frei von jeglichen Änderungen, kostenlos (außer notwendigen Vertriebskosten) und mit dieser Erklärung inklusive.