von
T. Austin-Sparks
Zuerst veröffentlicht in den Zeitschriften "A Witness and A Testimony", Mai-Jun 1946, Vol. 24-3. Originaltitel: "The Voice of the Son of God". (Übersetzt von Manfred Haller)
Schriftlesung: Joh. 5,25.28; 11,43; 6,63.65; 8,43; 10,4.5; 10,16.
Es ist wohlbekannt, dass mit Johannes 11 ein Übergang stattgefunden hat. Bis zu Kapitel 10 sind eine ganze Reihe geistlicher Wahrheiten und Prinzipien breit dargelegt und praktisch zu einer Anzahl von Einzelmenschen in Beziehung gesetzt worden. Mit dem Kapitel 10 werden diese Wahrheit im kollektiven Sinne aufgegriffen, und von da an finden wir den Herrn ganz besonders mit einer speziellen Gruppe beschäftigt. Kapitel 11 steht genau in der Mitte, mit 10 Kapiteln auf jeder Seite. In dieser Position fasst es alles zusammen, was vorausgegangen ist, und repräsentiert das, was das letztliche Ziel sein wird. Lazarus ist sowohl was die Position als auch die Bedeutung angeht, zentral, insoweit es die Herrlichkeit Christi betrifft. Die Gruppe von Menschen, die sich anlässlich der Auferweckung von Lazarus am Tisch zusammengefunden hat, macht zwei Dinge deutlich (und wir sollten stets den doppelten Aspekt der Dinge in der Bibel im Sinne behalten, den irdischen und den himmlischen, den zeitlichen und den geistlichen). Diese zwei Dinge sind hier Israel und die Gemeinde. Israels Geschichte wird genau diejenige von Lazarus sein. Eine Krankheit, bei der Christus nicht eingreifen wird. Er wird sich bewusst von Israel als solchem fernhalten – obwohl es noch immer viel geliebt ist – und zwar so lange, bis in keiner Hinsicht irgend welche Hoffnung übrig bleibt als eine wundermäßige Intervention. Israel wird ein Gestank sein in der Nase der Welt, und sie werden, statt medizinisch behandelt zu werden, nur durch eine Auferstehung von den Toten, durch die Stimme des Sohnes Gottes – Jesus Christus - eine göttliche Zukunft haben.
Die andere Sache hier ist die, dass die Gemeinde typologisch erst mit der Auferweckung von Lazarus und der versammelten Schar richtig ins Blickfeld tritt. Die Gemeinde ist die Schar derjenigen, die ihre Existenz einzig und allein dem Auferstehungswunder verdanken. Das wird ganz klar und endgültig in jenem Teil der Bibel, der sich am meisten mit der «Gemeinde» befasst, dargelegt: im Epheserbrief. «... auch euch (hat er auferweckt), die ihr tot wart durch Übertretungen und Sünden... und hat uns... mitversetzt in die himmlischen Regionen in Christus Jesus» (Eph. 2,1.6). «Lazarus aber war einer von denen, die mit ihm zu Tisch saßen» (Joh. 12,2). Auch wenn wir dies gesagt haben, haben wir noch nicht den tiefsten Punkt in dieser Angelegenheit berührt. Das eigentliche Herz dieser Position finden wir in den Worten von Joh. 5,25: «wo die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden».
Zunächst ist es offensichtlich, dass etwas mehr als die physische Fähigkeit des Hörens im Blickfeld steht. Die Toten haben nämlich diese Fähigkeit nicht mehr, es muss sich also um ein Hören handeln, das nicht natürlich ist, das tiefer und weiter innen liegt als das Natürliche. Auch ist nicht dies gemeint, dass durch das Reden Gottes irgend ein konkretes Resultat eintritt. Es ist ein Hören, das zum Resultat führt. Kurz gesagt also ist eine lebendige Beziehung zu Christus und zu seinem gemeinschaftlichen Ausdruck in der Gestalt seines Leibes – der «Gemeinde» - das Resultat des Hörens auf seine Stimme, auch wenn sie durch gesprochene oder gehörte Worte wahrgenommen ist, mehr ist als diese. Es ist möglich, die verbalen Aussagen der Wahrheit zu hören, und dies oft und über viele Jahre hinweg, ohne dass man seine STIMME gehört hat. Es ist möglich, dass wir, nachdem wir die Wahrheiten oft und schon sehr lange gehört haben, plötzlich die Stimme hören, und das Resultat wird sein, dass es ist, als hätten wir noch nie etwas Ähnliches gehört, da alles so neu und wunderbar ist. Eine lebendige Beziehung zu Christus ist keine intellektuelle, gefühls- oder willensmäßige Reaktion auf die Darlegung von Evangeliums-Wahrheiten; sie kommt auch nicht durch ein beeinflusstes und überzeugtes Unterzeichnen einer Karte der «Entscheidung für Christus» zustande; sie ist auch nicht die Wirkung einer heißblütigen evangelistischen Bemühung, in welcher mit der Seele gespielt wird und alle möglichen oberflächlichen und theatralischen Elemente ins Spiel gebracht werden. Das alles mag in großem Maßstab scheinbar Erfolg haben, doch – immer damit rechnend, dass die Souveränität Gottes trotzdem einige Herzen durch sein Wort erreichen kann – wird vieles von dem nur noch zu der großen Tragödie beitragen, mit der sich die Gemeinde als einem ihrer größten Probleme konfrontiert sieht, nämlich eine billige Einschätzung des Christenlebens, eine Masse von Leuten, die «es versucht und enttäuschend gefunden haben», und eine große Anzahl von «Christen», die keine echte und lebendige Erkenntnis des Herrn haben. Die Tatsache, dass heute eine solche Gleichgültigkeit dem Christentum gegenüber herrscht, und dass so wenig davon ernst genommen wird, ist weitgehend auf die Tatsache zurückzuführen, dass es verdorben und zur Billigware verkommen ist. Nein, die Grundlage von allem im Neuen Testament ist dies, dass jenseits von etwas Hörbarem, Gesprochenem, Natürlichem, Zeitlichem, Irdischem die Stimme des Sohnes Gottes tief unten im menschlichen Geist gehört wurde. Das kann, muss aber nicht, eine Stimme mit konkreten Worten, sein, doch wenn es geschieht, dann ist der Betroffene wirklich imstande zu sagen: «Der Herr hat zu mir gesprochen», oder «Ich weiß, dass der Herr mir seinen Willen bewusst gemacht hat». Es ist eine Stimme – eine Kraft – DURCH Worte, oder auch ohne, es sind aber nie nur Worte.
Ich sagte, alles hänge davon ab. «Diejenigen, die hören, werden leben». Unser ganzes Leben – im göttlichen Sinne – hängt davon ab. Unsere Errettung geht daraus hervor. Doch was für den Anfang gilt, gilt im Prinzip ständig. Denn alle wichtigen Entscheidungen im Leben (ausgenommen sind offensichtliche und unmissverständliche Pflichten) müssen auf diese Weise zustande kommen. Paulus gründete seinen ganzen Dienst mit seinen spezifischen Aspekten auf dieses Prinzip. Wenn Gott auf diese Weise spricht, dann geschieht etwas, es ist nicht nur etwas gesprochen worden. Wir wissen, dass uns etwas widerfahren oder etwas in uns geschehen ist. Ein solches Wissen oder Werk in uns ist für die Stabilität absolut entscheidend. Wir wissen von Leuten, die innerhalb weniger Jahre ihre stärksten Positionen mehr als einmal radikal und gründlich geändert haben. Nachdem sie eine bestimmte Wahrheit ergriffen und bestätigt haben, dass es das Größte sei, was Gott ihnen je gezeigt hätte, verwarfen sie es bald darauf wieder und änderten ihre Einstellung ihm gegenüber. Wenn das passiert, dann ist dazu nur eines zu sagen, abgesehen von willentlichem und bewusstem Ungehorsam, und das ist, dass sie diese «Wahrheit» nie in erster Linie vom Himmel, sondern von Menschen übernommen haben. Sie gelangten durch eine mentale und emotionelle Annahme dazu, entweder durch Hören, oder Lesen, oder durch Studium. So stark war der Eindruck, so sehr schien es die Antwort auf ein Bedürfnis zu sein oder ein Weg zur Selbstverwirklichung, dass es von der Seele mit Eifer aufgegriffen wurde. Und die Betreffenden waren nicht wirklich zerbrochen und in den Staub ausgeschüttet. Weil es eben kein Hören der Stimme des Sohnes Gottes im Geist war, jenseits alles Natürlichen, konnte es nicht andauern, und das Leben wurde gekennzeichnet von einem Mangel an Stabilität. Natürlich ist das etwas ganz Anderes als die Veränderungen, die eine echte Entwicklung und echtes Wachstum kennzeichnen. Sehr große Veränderungen können sich da ereignen, aber nicht bezüglich der grundlegenden Offenbarung. Es ist äußerst wichtig, dass, was die grundlegende Erkenntnis des Willens Gottes und seiner Offenbarung an uns angeht, wir am Ende genau da sind, wo wir schon am Anfang waren, obwohl erweitert und vielleicht mit einer Veränderung in der bloß äußerlichen Erscheinungsweise.
Ferner ist in dem Moment, da Gott so in Christus zu uns spricht, die Ewigkeit in die Zeit durchgebrochen; das Überzeitliche wurde in uns registriert. Alles, was bloß der Zeit und der Erde angehört, wurde suspendiert, und in jenem Augenblick wurde alles, was Gott «vor Grundlegung der Welt» im Sinn hatte, und all das, was seinem Gedanken gemäß in den kommenden Zeitaltern noch werden soll, in unser Leben herein gebracht. Schon unsere Existenz ist davon abhängig. Ich meine damit nicht, dass davon unsere Beständigkeit betroffen wird und dass die Gefahr der Vernichtung bestehe; doch schon die bloße Tatsache unserer Existenz, dass es uns überhaupt gibt, hat nun eine besondere Bedeutung für uns, oder ist zumindest in die Nähe gerückt. Ja, es ist, was die ganze göttliche Absicht betrifft, ein ewiger Moment; «an diesem Moment hängt die Ewigkeit».
Wiederum, und eng verbunden mit dem, was wir soeben gesagt haben, ist es entscheidend wichtig, zu erkennen, dass dieses Hören der Stimme des Sohnes Gottes ein souveräner Akt von Gott ist. Das heißt, es geschieht dann, wenn und wie er es sich aussucht. Wenn Gott nicht redet, ist alles menschliche Reden tot. Weder diejenigen, die im Blickfeld stehen, noch jene, um die sie sich kümmern, können den Zeitpunkt wählen. Diese souveräne Entscheidung wird klar in der Einstellung Christi gegenüber Lazarus ersichtlich. Es waren viele menschliche Faktoren am Werk, und er musste auch damit rechnen, dass sein Verhalten missverstanden wird, dennoch lies er sich nicht bewegen, bis die Zeit Gottes gekommen war. Im Augenblick geht es um folgendes: Wenn diese Stimme gehört wird, dann ist es Gottes Zeitpunkt, und wir können nie voraus sagen, ob und wann es wieder Zeit sein wird. Bei den Schriftstellen, die dieser Botschaft voran gestellt worden sind, haben wir auch jene seltsame eingeschlossen: «Warum versteht ihr meine Rede nicht? Weil ihr mein Wort nicht hören könnt» (Joh. 8,43). Gott hatte gesprochen, aber sie hatten nicht darauf reagiert. Und nun KÖNNEN sie nicht hören, selbst wenn er redet. Auf dem Weg nach Damaskus hörte nur Paulus die Stimme. Jene, die mit ihm reisten, hörten nur das Geräusch (Apg. 9,7; Randles., 26,14). Es wird ein Vorfall berichtet, wo im Leben von Christus genau dasselbe passierte (Joh. 12,28.29).
Dann erhebt sich eine Frage. Welches ist die erste und unmittelbare Wirkung, wenn Gott zu uns spricht? Es wird nicht notwendigerweise Erheiterung sein. Bloße Erheiterung kann etwas Falsches anzeigen. Gewöhnlich wird daraus keine natürliche Befriedigung entstehen. Unsere natürlichen Interessen und Vorlieben werden wenig oder gar keinen Platz finden. Erheiterung ist nicht unbedingt schon Leben. Wenn es bloß Erheiterung ist, sollten wir innehalten und uns selber prüfen. Es besteht ein großer Unterschied zwischen Ruhe, Frieden und stiller Freude, und bloßer Erheiterung. Es mag viel mehr eine feierliche Beklemmung und Furcht sein, doch mit ruhiger Gewissheit.
Die erste Wirkung, wenn man die Stimme Gottes hört, ist die Gabe des Glaubens. Was vorher nicht in Betracht kam, wird nun möglich. Was hoffnungslos war – und wir wusste es – wird nun eine lebendige Aussicht. «Gelobt sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns aufgrund seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten...» (1. Petr. 1,3). Es ist eine Auferstehungshoffnung. Wie hoffnungslos und unmöglich war doch die Lage für Lazarus, bis er die Stimme des Sohnes Gottes hörte! Nun sagt Paulus: «Denn aus Gnade seid ihr errettet durch den Glauben, und das nicht aus euch – Gottes Gabe ist es» (Eph. 2,8). Er sagt ebenso: «Der Glaube kommt aus dem Hören» (Röm. 10,17 – engl.). Aber es ist eben die Art von Hören, von der wir gesprochen haben. Die Anspannung verlässt das Leben, wenn der Glaube an Gott hereinkommt, und die unmöglichen Berge sind nicht mehr unmöglich.
Wir nähern uns dem Ende (der Konferenz), doch zwei Dinge bleiben noch zu erwähnen übrig. Wenn die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören und leben sollen, dann werden sie eben nur Tote hören. Wir haben gesehen, dass der Herr sehr entschieden war bei seinem Entschluss, Lazarus sollte erst wirklich tot sein, bevor er dort in Szene treten würde. Zuerst drückte er sich bildlich aus. «Unser Freund, Lazarus, schläft», doch seine Jünger verstanden nicht, was er damit meinte, darum holte er noch einmal aus und sagte bestimmt: «Lazarus ist gestorben». Die Schwestern wussten, in welchem Zustand er sich normalerweise nach vier Tagen in diesem östlichen Klima und in einem östlichen Grab befinden würde. War Lazarus tot? In der Tat, er war tot! Das war maßgebend für das göttliche Prinzip. Wir sind zu lebendig in unseren Bemühungen, Interessen, Kämpfen, Ambitionen, Aktivitäten, Werken etc., um auch nur eine Chance zu haben, die Stimme des Sohnes Gottes zu hören. Darum sind unsere Werke so oft eben nur «tote Werke». Da ist das Leben der Natur, aber nicht das Leben Gottes. So viele Stimmen füllen unsere Ohren, sowohl religiöse als auch weltliche, und eine Mischung von beiden. Wenn das Größte, was Sterblichen überhaupt begegnen kann, uns widerfahren soll, dann müssen auch wir, wie Paulus, zu Boden geschmettert werden und eine Stimme hören (Apg. 9,4). Wie oft ist es doch unter der Hand Gottes schon so gewesen, dass das Ende der Anfang war. Wir wurden an einen Ort der Verzweiflung und äußersten Hilflosigkeit gebracht, so dass wir, wie Paulus, «am Leben verzweifelten», nicht nur oder notwendigerweise körperlich, sondern geistlich. Später jedoch fanden wir heraus, dass die Souveränität am Werke war im Hinblick auf etwas völlig Neues. Es gibt in der Tat keine Hoffnung, bis wir tot sind.
«Ich lag tot im Staub der Herrlichkeit des Lebens, und aus dem Grund blühte rot Leben hervor, das endlos sein wird».
Schließlich: Was ist die Natur unserer Beziehung zu Christus? Ihr mögt an die christliche Lehre der Göttlichkeit Christi glauben, und dies sogar sehr intensiv. Doch wenn es bloß eine Lehre ist, ein Grundsatz des Glaubensbekenntnisses, eine objektive Tatsache in Bezug auf Christus, wird es euch nicht durch die schrecklichen Erfahrungen hindurch tragen, die auf dem Weg eines wahren Christen auftauchen. Johannes sagte, der Grund für die Niederschrift seines Evangeliums sei gewesen, dass wir glauben sollten, dass Jesus der Sohn Gottes ist, und dass wir, so glaubend, Leben haben sollen in seinem Namen. Aber er achtete peinlich darauf, zu zeigen, dass diejenigen, die so glaubten, eine experimentelle Basis für ihren Glauben haben. Wie und warum glaubt ihr? Könnt ihr wirklich sagen - «weil etwas in mir geschehen ist, für das es keine Erklärung abgesehen von Gott selbst gibt. Emotionen, Vernunftgründe, Überzeugungen kommen dafür nicht in Frage. Menschliche Persönlichkeiten, Psychologie oder irgend ein anderer menschlicher oder natürlicher Faktor kommt dafür auch nicht in Frage. Dazu war Gott, der Allmächtige, nötig, und ich fand ihn in Jesus Christus. Es war die Stimme des SOHNES GOTTES, und ich wurde lebendig, und ich lebe».
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